zur Erinnerung
Ist der Ossi unmodisch?

Erschienen am 18.10.2019

Der Osten hat modisch bis heute einen schlechten Ruf - vererbt aus einer Zeit des sozialistischen Einheitsgraus. Frauen in der DDR, so das Klischee, haben am liebsten Dederon-Kittel und die Männer Trainingshosen mit weißem Feinripp-Hemd getragen. Gisela Braune weiß als Kind der DDR nicht nur, dass es anders war. Sie hat sich nach der Wende als eine der ersten Farb- und Stilberaterinnen des Ostens ausbilden lassen und hier in den vergangenen 30 Jahren die modische Entwicklung mitverfolgt. Katrin Saft sprach mit ihr.
Institution des guten Geschmacks: Farb-, Stil- und Imageberaterin Gisela Braune hat in ihrem Atelier in Dresden noch mehrere Ausgaben der Zeitschrift Sybille, die in der DDR Mode kunstvoll inszenierte. Institution des guten Geschmacks: Farb-, Stil- und Imageberaterin Gisela Braune hat in ihrem Atelier in Dresden noch mehrere Ausgaben der Zeitschrift Sybille, die in der DDR Mode kunstvoll inszenierte.
Foto: Matthias Rietschel
Stilberaterin Gisela Braune räumt mit Klischees auf - und verrät die schlimmsten Modesünden.

Freie Presse: Frau Braune, erkennen Sie heute noch an der Kleidung, ob jemand aus dem Osten oder Westen stammt?

Gisela Braune: Nein, von typisch regionaler Kleidung mal abgesehen. Modisch sind wir einig Vaterland.

Trotz der vielen Menschen, die in Sachsen in Goretex-Jacke zum Sonntagsspaziergang gehen oder eine beigefarbene Weste tragen?

Es gibt überall eine gewisse Outfit-Elite und Menschen, die sich nicht so sehr für Mode interessieren. Deutschland war nie ein Modeland wie zum Beispiel Frankreich. Auch ein Italiener würde nie auf die Idee kommen, Sandalen mit weißen Socken zu tragen. Viele Deutsche ziehen an, was gerade im Angebot ist und nicht, was wirklich zu ihnen passt. Das sehe ich hier genauso wie auf meinen Seminaren in den alten Bundesländern. Auch wenn Gucci auf dem Pullover steht, hat das ja noch lange nichts mit Stil zu tun.

Was ist denn für Sie Stil?

Stil ist eine Geisteshaltung und hat etwas mit Persönlichkeit zu tun. Kleidung kann vieles bewirken, jedoch niemals über eine unterentwickelte Persönlichkeit hinweghelfen. Darin besteht der Unterschied zwischen einer gut gekleideten Person und einer Persönlichkeit. Bei letzterer besteht eine Übereinstimmung zwischen Innerem und Äußerem.

Auffällig ist immer noch, dass das Damenhafte bei reiferen Frauen im Westen ausgeprägter ist als im Osten.

Das hat in der Tat noch mit dem unterschiedlichen Selbstverständnis dieser Frauengeneration zu tun. Im früheren Westdeutschland hatten Frauen mehr die Aufgabe, an der Seite ihres Mannes zu repräsentieren. In der DDR dagegen waren die meisten Frauen berufstätig und damit recht selbstbewusst. Sie verfügten über eigenes Geld und Entscheidungsfreiheit. Ich erinnere mich an sehr kurze Miniröcke, an Petticoats, hohe Lackstiefel und Plateaus, die damals angesagt waren. Gut angezogen und gepflegt zu sein war eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Der Dior des Ostens: Designer Heinz Bormann (1918-1988), Chef des gleichnamigen Modehauses aus Magdeburg, mit Models in Oberhof.
Foto: imago/Harald Lange

Musste man nicht Westkontakte haben, wenn man in der DDR modisch gekleidet sein wollte?

Nicht unbedingt. Natürlich gab es Mangelwirtschaft und die staatliche Konfektionsindustrie, die weniger auf Mode als auf Zweckmäßigkeit Wert legte. Es gab aber auch das Deutsche Modeinstitut in Berlin oder das Modehaus Bormann mit fast 300 Mitarbeitern. Heinz Bormann wurde als "Dior des Ostens" bezeichnet, und wir waren begeistert, wenn sein Name auf dem Etikett stand. Auch Lucie Kaiser in Altenburg galt als Modelegende. Nach der Verstaatlichung 1972 hieß der Betrieb dann VEB Modehaus Altenburg und fertigte Zehntausende Kleider auch für die Bundesrepublik. Nur wussten die Käuferinnen das nicht. Auch der Exquisithandel beschäftigte eigene Modedesigner, die ihre Kollektionen dann auf der Leipziger Messe präsentierten. Sie hatten einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Bekleidung, die es heute meist zu kaufen gibt.

Und der wäre?

Qualität und Langlebigkeit. Die Sachen waren einfach nicht totzukriegen, weil sie viel besser verarbeitet waren als die überwiegend billige Massenware heute. Es wurden gute Stoffe genommen - es gab ja nicht nur Synthetik. Die Passform stimmte. Das Innenfutter war perfekt gearbeitet. Bei Karomustern achteten die Schneider noch darauf, dass die Karos an den Nähten nicht unterschiedlich angesetzt waren. Die Knopflöcher fransten nicht aus, die Knöpfe fielen nicht schon nach ein paarmal Öffnen ab. Das Angebot war zwar nicht so groß. Dafür konnten Frauen eine klassische schwarze Hose aus dem "Ex" gut und gerne 20 Jahre tragen.

Die Sachen aus dem Exquisit konnten sich aber viele DDR-Bürger gar nicht leisten.

Das stimmt. Aber es wurde auch vieles selbst genäht. Meine Mutter hatte eine Hausschneiderin, mein Vater ging zum Maßschneider. Ich habe Architektur studiert und damals einige Sachsen selbst entworfen. Es gab ja schöne Stoffe. Für mein Abiballkleid habe ich mir hellblaue Plauener Spitze ausgesucht. Das sah toll aus. Wir waren damals sehr kreativ und wussten, wie man mit kleinen Mitteln große Wirkung erzielt.

Sexy durch die DDR: Modenschau 1971 in Dresden.
Foto: Werner Mohn

Der Westen hatte Aenne Burda mit Schnittmusterbögen zum Nachnähen. Woran haben Sie sich in der DDR orientiert?

Natürlich hatte jeder gute Schneider die "Burda" oder Westkataloge. Aber es gab auch in der DDR viele Zeitschriften, die sich mit Mode beschäftigten: die "Sybille", die "Pramo" - was für praktische Mode stand -, die "Saison", "Die modische Maschen" oder die Zeitschrift "Der Brühl" für Pelzmode, um nur einige zu nennen. Ein Geheimtipp war die "Moda Polska", eine polnisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion. Allerdings waren die Zeitschriften schnell vergriffen. Ich hatte ein Abo der "Sybille" - für mich die Institution des guten Geschmacks in der DDR.

Was war so besonders an der "Sybille"?

Die Mode in der "Sybille" gab es zwar selten zu kaufen, aber sie war Kunst. Profifotografen haben die Models perfekt in Szene gesetzt - meist in Alltagssituationen. Wenn man sich die Zeitschriften heute anschaut, entdeckt man viele zeitlose Kleidungsstücke, die heute noch tragbar wären: der Anzug aus schwarzem Samt, das Pepita-Keid, raffinierte Badeanzüge, Träume aus Tüll. Die "Sybille" bediente die Sehnsucht der Frauen nach Schönheit, die es in der DDR genauso gab wie in der BRD.

Was war denn für Sie der schönste Modetrend und die schlimmste Modesünde in der DDR?

Am Schrecklichsten waren die luftgetrockneten Kaltwellen - diese aufgesetzten Locken auf den Köpfen. Am Schönsten fand ich, dass Mode damals nicht so kommerziell, sondern tragbare Kunst war. In der "Sybille" gab es keine Werbung. Es ging um Inspiration und nicht darum, den Konsum zu stimulieren. Heute sind die Designerschauen noch nicht ganz zu Ende, da sitzen in Taiwan schon Heerscharen von Näherinnen, um das Gesehene für die großen Ketten billig und in Masse nachzuproduzieren. Die Kollektionen wechseln immer schneller. Ständig gibt es neue "Must-haves". Das finde ich furchtbar, weil es die Frauen unter Druck setzt. Und weil nicht alles zu jeder passt.

Kleid aus den 70er-Jahren für die Frau ohne Modelmaße.
Foto: J. Wolf/dpa

In der DDR hieß es "Grün und blau schmückt Kaspers Frau". Heute ist es ein Modetrend und nennt sich Colorblocking. Was stimmt denn nun? Nichts von beidem. Mode sollte immer zur Persönlichkeit passen. Grün und Blau ist eine frische Farbkombination, die aktiven Menschen steht. Es geht darum, authentisch zu bleiben. Schauen Sie sich Regine Hildebrandt an oder Christine Lagarde, die beherrschen das perfekt.

Und die Männer? Wie modisch waren sie in der DDR - und sind es heute?

Die Herrenbekleidung in der DDR war eher klassisch angelegt. Es gab die berühmten Präsent-20-Anzüge, aber auch schon den langlebigen Kaschmir-Pullover. Heute sind die Männer modebewusster. Das liegt auch daran, dass sie mit ihren Frauen in die großen Tempel zum Shoppen mitgehen. Und am Angebot, das vor allem für junge Männer viel besser geworden ist. Für ältere Männer sieht es modisch noch immer nicht so besonders aus.

Viele Jahre lang hatte man den Eindruck, dass in den Läden im Osten die Ladenhüter aus dem Westen landen. Und heute?

Sicher wird im Osten generell noch etwas preiswerter geordert, weil die Menschen hier immer noch weniger verdienen. Es kommt aber auch auf den Standort an. Dresden zum Beispiel war noch nie eine Modestadt, während Leipzig durch die Messe immer schon etwas internationaler unterwegs war und ist. Was ich aber im Osten genauso wie im Westen beobachte, ist das Verschwinden der Boutiquen mit ihrem individuellen Sortiment. Das bedauere ich sehr. In jeder Stadt gibt es die gleichen Ketten mit dem gleichen Angebot. Das ist Mainstream - das Gegenteil von Mode und Stil.

Heute kann man ja ohnehin alles mit allem kombinieren. Wozu brauchen wir dann überhaupt noch Modetrends?

"Mode ist vergänglich, Stil niemals", hat Coco Chanel gesagt. Das stimmt. Trotzdem sollte man Mode nicht ignorieren. Denn nur wer mit der Mode geht, geht mit der Zeit. Wer altmodisch daherkommt, dem wird man zum Beispiel auch im Job keine Innovationen zutrauen. Natürlich gibt es Menschen, denen es egal ist, was sie anhaben. Doch zum gesellschaftlichen Zusammenleben gehört auch ein gewisser Respekt, gepflegt auszusehen. Und das gilt im Osten wie im Westen.


Quelle: FP vom 18.10.2019


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